Loki von Hedeby

 


Hey, wer bist du denn? Kaum strecke ich mein Näschen aus dem Nest, schaut mich wieder so ein riesiger Mond mit Glubschaugen an. Komm mir bloß nicht zu nah! Meine Zähne habe ich erst frisch geschärft. Die Stückchen der Papprolle liegen noch alle vor meinem Nest herum.

Vielleicht mache ich lieber noch ein Nickerchen und du bist bis dahin verschwunden….warte…das riecht hier doch nach Karotte…ein bisschen weiter in die Richtung….die muss ich schon wieder erst aus dem Streu buddeln…mmmh…lecker…

So, wo waren wir? Ach ja, komm mir bloß nicht zu nah! Ich bin Loki, Loki von Hedeby, benannt nach dem nordischen Feuergott. Warum? Na, dann schau mir mal in die Augen. Siehst du? Feuerrot! Wie ich finde ein netter Kontrast zu meinem komplett weißen Fell. Bis zur Schwanzspitze!

Wie, du weißt nicht, was ich bin? Ein Gerbil natürlich, eine Wüstenrennmaus, wie sie im Buche steht. Ja, nicht irgendeine Rennmaus. Ich bin weit gereist, war mit dem komischen Kauz namens Gaukler auf Marktplätzen, in Schlössern und Burgen unterwegs.

Bei dem Gedanken an die langen Fahrten in diesem rumpelnden Teil schüttelt es mich immer noch. Aber dann konnte ich immer tagelang Blödsinn machen, den Hof vom Roulette unsicher machen und die ganzen Mondgesichter anschauen. Ja, sowie deins jetzt, aber das hier ist mein Terrarium!

Hat der mich gerade schon wieder Lausbub genannt? Dabei ist dieser Gaukler doch selbst einer. Frag ihn doch mal nach der Sache mit dem Schießpulver. Ich dagegen mache nur, was sich für einen Mäuserich gehört: alles anknabbern, was nicht niet- und nagelfest ist- Glaub mir, ich kann ganz schön beißen!

Das musste auch die Heuschrecke feststellen, als sie sich ins Roulette verirrt hatte. Ha! Da hab ich ihn ganz schön ins Bockshorn gejagt. Erzählt den Mondgesichter gerade, dass kein Futter in den Häuschen ist…ist ja leider sonst auch so…aber ICH habe sie gefunden. Wenigstens einmal eine frische, knackige Heuschrecke bekommen, für die ganze Arbeit.

Jaja, sonst haben wir am Schluss auch immer unsere Belohnung bekommen: eine saftige Rosine!

Apropos Rosine….was hast du da gerade in der Hand?

 

 

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Johanna vom Belchen

 

 

 

 

Einmal das hier rüber und das dorthin, das muss ganz in die Ecke, oh, ein Stück Walnuss, das kommt gleich ins Nest. Oder soll ich sie gleich wegknabbern, bevor Katharina sie noch erwischt?

 

Katharina von Flandern ist meine Schwester, ich heiße Johanna vom Belchen. Warum sie von Flandern ist und ich vom Belchen, wenn wir doch Geschwister sind? Das müsst ihr den Gaukler fragen.

 

Mit ihm waren wir früher sehr viel unterwegs. Aber jetzt sind wir in Frührente, wegen der komischen, unaussprechlichen Krankheit, die ich bekommen habe. Mir geht es gut, nur mein Gleichgewicht spielt mir Streiche. Manchmal torkele ich umher wie ein Betrunkener. Das ist mir peinlich. Mit langen Fahrten zu den Märkten ist damit leider nichts mehr. Das kurze Stück zu unserer Ärztin hat mir ja schon gereicht.

 

Jetzt gerade ist aber auch so genug zu tun. Gauklerchen hat unser ganzes Terrarium frisch gemacht. Das will alles richtig einsortiert werden. Und das von mir alleine! Katharina hat sich schon wieder versteckt, weil du da bist. Dabei kann man sich mit dem Betrachten eurer Mondgesichter auch gut beschäftigen.

 

„Rampensau“ nennt Gauklerchen mich immer noch gerne. Dabei bin ich doch eine Maus! Eine wunderschöne, braune Gerbilmaus mit weißem Bäuchlein. Das ist auf den ganzen Fotos gut zu sehen, die ihr alle immer von mir macht. Auch wenn ich das mit den Brettern vor euren Köpfen immer noch nicht verstanden habe.

 

Was? Was soll das? Jetzt hebt der mich schon wieder hoch. Dabei habe ich doch noch so viel zu tun! Und er schaut auf meinen Bauch. Ja, meine Duftdrüse ist in Ordnung. Kann ich jetzt weiter machen? Am besten mach ich von meiner lebenslangen Knabberfreiheit Gebrauch und zwicke ihn mal vorsichtig in den Finger. Ja, die Knabberfreiheit habe nur ich, und die hat er mir selbst erteilt!

 

Endlich wieder unten. Jetzt schnell ab ins Glas und ein Sandbad nehmen. Und nicht einmal der Körperpflege kann Maus hier nachgehen, ohne angestarrt zu werden. Da sieht man es mal wieder: ich ziehe alle Blicke auf mich.

 

Wieder raus aus dem Glas, umsehen, er sucht nach Katharina. Gut, dann ist er ja jetzt beschäftigt.

 

Das muss dorthin, und das hierher, das bringe ich gleich in den Bunker…

 

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Katharina von Flandern

 

 

 

Vorsichtig…erst die Nasenspitze aus dem Nest schieben…frische Luft…Loki.. Gaukler…und ein Geruch, den ich nicht kenne. Schnell ziehe ich die Nase wieder ein.Das ist mal wieder super. Kaum will Maus mal aus dem Nest, kommt schon wieder etwas Neues daher. Potenziell auch noch gefährlich!

 

Die Kleinen regen sich im Nest, fiepsen auffordernd und eindringlich. Sachte stupse ich sie mit der Nase an. Sie fiepsen weiter und lecken sich die Mäuler, also lege ich mich auf die Seite, um sie trinken zu lassen.

 

Lange lässt sich das Grummeln in meinem Magen aber nicht mehr ignorieren. Die Kleinen sind satt, und ich stecke wieder vorsichtig die Nase aus dem Nest. Unbekannter Geruch hin oder her: ich brauch was zum Essen!

 

Langsam schlüpfe ich dann aus dem Nest. Blick nach rechts, Blick nach links. Die Luft scheint rein zu sein. Immer der Nase nach, kurz buddeln und da ist es: ein leckerer Mehlwurm! Stück für Stück knabbere ich daran, bis er ganz in meinem Magen verschwunden ist. Etwas weiter finde ich dann ein Stück Paprika. Solange ich am futtern bin, lässt der Gaukler mich wenigstens mal in Ruhe. Der ist gerade auch mit Loki beschäftigt. Pustet ihm auch schon wieder am Bauch herum. Darauf habe ich jetzt schon gar keine Lust. Und nebendran stiert auch schon wieder so ein anderes Mondgesicht. Den Rest der Paprika verspeisen, und schnell weg!

 

Gerade noch rechtzeitig zurück im Nest. Er setzt Loki ab und sucht nach mir. Deine Lockrufe nützen bei mir gar nichts, ha!

 

Oh nein! Jetzt stochert der auch noch mit seinem Wurstfinger in meinem Nest herum! Soll ich da mal kräftig rein beißen? Gute Lust hätte ich dazu. Das sind meine Babies! Weg da! So!

 

Er hört immer noch nicht auf…Dann schnüffele ich eben kurz an seinem Wurstfinger. Riecht wie immer. Ist das jetzt gut so? Nein, er sucht weiter. Ich komme etwas weiter aus dem Nest, schnüffele noch einmal…Nein, ich komme nicht auf die Hand!

 

Schnell zurück ins Nest. Er versucht es weiter, aber ich gebe nicht nach!

 

……

 

Na endlich, er hat aufgegeben…und schon fiepsen die Kleinen wieder…

 

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Mr. Disinfection Man

 

 

 

 

Leise fallen die Flocken zu Boden. Kleine Kristalle aus Schnee und Eis, die von den Wolken sachte auf die Erde hinab schweben, auf der sie mit einem sanften „Plop“ landen. Erwartungsvolle Stille umhüllt die Welt. Im Zwielicht, fast verborgen im allgegenwärtigen Weiß, stapfen braune Gestalten langsam durch den Schnee, die Rücken und Geweihe bedeckt von den herabrieselnden Flocken. Nicht weit davon sind Lichter. Kühles, blaues Licht neben einer Tür. Einer Tür, die in ein anderes Reich führt.

 

Emsiges Treiben herrscht dort. Klopfe, sägen, zischen, piepsen, klingeln, ratschen, rascheln, summen, surren, vom Keller bis unters Dach. Von jeder Etage aus kann man in die große Halle am Fuße der riesigen Werkstatt blicken. Über Aufzüge, Bänder und Rutschen kommen von überall her Pakete dort an. Bunt verpackt, mit Schleifen und Bändern. Groß, klein, rund, eckig, mal fest, mal weich und manches auch zerbrechlich. Immer häufiger werden die Wünsche nach Smartphones, Tablets, iWatches und smartem Zubehör, aber es gibt tatsächlich noch Klassiker, wie Puppen, Brettspiele, Hörspiele, Bücher und sogar ein Schachspiel ist dabei. Das alles wird in den zahllosen Ebenen der großen Werkstatt hergestellt. Von Männern und Frauen, kaum einen Meter groß, mit spitzen Ohren und Zipfelmützen, bekleidet in Latzhosen, die sie über dicke Wollpullover gezogen haben.

 

Ganz oben, ganz am Rand, läuft ein Mann unruhig auf und ab. Er ist mindestens doppelt so groß wie die Arbeiter, mit prallem Bauch, schlohweißem Haar und einem ebenso weißen, vollen Bart. Besorgt blickt er zu Boden, und läuft weiter beständig auf und ab. Auf – und ab. Neben ihm steht ein Tisch. Ein Tisch, massiv, aus dunklem Holz. Darauf steht ein großer Globus und neben diesem eine Kugel aus Glas. Die Kugel zeigt ihm jeden Ort, auf den er auf dem Globus zeigt. Besorgt läuft er weiter auf und ab. Auf- und ab.

 

„Du musst vorsichtig sein. Es schneit so viel wie seit Jahren nicht mehr“, sagt eine rundliche Frau. Sie sitzt in einem Schaukelstuhl neben dem Kamin. Über ihre Beine hat sie eine Wolldecke gebreitet, im Schoß ein Wollknäuel, mit dem sie strickt.

 

„Das ist es nicht, was mir Sorgen bereitet“, sagt der Mann, und läuft weiter. „Was dann?“, fragt die Frau. Der Mann bleibt stehen. Er tippt auf einen Punkt auf dem Globus. Die Kugel zeigt Menschen im Bett liegend mit Beatmungsgeräten, daneben andere, völlig eingepackt in weiße Anzüge, mit Masken, Brillen und Handschuhen. Er tippt auf einen anderen Punkt: Menschen maskiert in der Fußgängerzone. Beim nächsten maskierte Kinder, dick eingepackt mit Mänteln und Schals auf den Schulbänken. Durch offene Fenster und Türen weht eisiger Wind. Der Mann tippt weiter: geschlossene Restaurants, geschlossene Bäder, eingestaubte Karussells in dunklen Ecken. Trostlose Leere auf den Plätzen, auf denen vor einem Jahr noch Glühwein, Punsch und Kleinode verkauft worden sind. Kein Scherzen, kein Lachen, keine Sorglosigkeit, und keine Vorfreude. Der Mann schüttelt den Kopf. „Nirgends auf der Welt ist es mehr sicher.“ Die Frau hält mit ihrem Stricken inne.

 

„ Was soll das heißen? Willst du etwa zu Hause bleiben?“, fragt sie. Der Mann schweigt weiter. „Du wirst doch den Kindern nicht auch noch das letzte bisschen Weihnachten nehmen wollen?!“, spricht die Frau vorwurfsvoll weiter. Der Mann schluckt. „Natürlich nicht…Ach, ich weiß nicht, was ich machen soll…“, murmelt er kleinlaut vor sich hin. Die Frau hört ihn trotzdem. „An Weihnachten die Geschenke verteilen, so wie jedes Jahr!“ Der Trotz steht ihr aufs Gesicht geschrieben. „Aber wenn ich mich anstecke, verteile ich es an den Rest gleich mit…“ „Dann sorg dafür, dass du dich nicht ansteckst.“

 

 

 

Am Weihnachtsabend ist es dann soweit. Alle Vorbereitungen sind getroffen, sämtliche Säcke und der Schlitten sind gepackt. Die Rentiere einsatzbereit eingespannt. Der Weihnachtsmann erscheint klassisch in Rot und Weiß. Nur dieses Mal nicht mit seinem Mantel. Stattdessen hat er über Hose und Pullover einen roten Schutzanzug aus reißfestem Kunststoff gezogen, dazu passende Handschuhe und Stiefel in weiß. Statt einer Mütze trägt er die Kapuze des Anzugs auf dem Kopf, dazu eine eng abgeschlossene Schutzbrille. Auf seiner Maske steht in goldenen Lettern der Aufdruck: „Merry Christmas“. Die Rentiere sind allesamt mit Atemschutzmasken und Sauerstoffflaschen auf dem Rücken ausgestattet.

 

Unter dem alljährlichen Jubel treibt der Weihnachtsmann die Tiere an. Obwohl er durch den dicken Anzug alles nur gedämpft wahrnimmt, ist er frohen Mutes. Der Schlitten fährt an, gewinnt an Geschwindigkeit und hebt ab.

 

Beim ersten Kind angekommen, landet er wie gewohnt auf dem Dach. Er steigt aus, zurrt sich eine große Flasche auf dem Rücken fest und nimmt sich den ersten Sack. Mit der Flasche auf dem Rücken gestaltet sich der Weg durch den Kamin etwas schwieriger. Aber er schafft es. Unten angekommen, nimmt er sich den Sprühkopf, der durch einen Schlauch mit der Flasche auf seinem Rücken verbunden ist. Er löst die Sicherung und versprüht das Desinfektionsmittel im ganzen Raum. Erst danach holt er das Päckchen aus dem Sack, um es an seinen Platz unter dem bunt geschmückten Baum zu legen. Zufrieden wendet er sich zum Gehen – dann fällt sein Blick auf das Tischchen neben dem Kamin. Darauf sind wie jedes Jahr ein Glas Milch und ein Teller mit Plätzchen. Extra vorbereitet, nur für ihn. Er ist schon drauf und dran, sich die Maske herunter zu ziehen. Dann besinnt er sich eines besseren. Wer gibt ihm die Garantie, dass sich Corona nicht auf den Plätzchen oder in der Milch befindet? Also lässt er alles so stehen, wie es ist und setzt seinen Weg fort.

 

Ein Päckchen nach dem nächsten liefert er aus. Die Süßigkeiten lässt er stehen. Bis er beim Ablegen eines Päckchens unter dem Baum ein rascheln hinter sich wahrnimmt. Gespannt dreht er sich um. Von der Tür aus sieht ihn ein kleiner Junge von vielleicht fünf Jahren an. Seine kleine Schwester hält er an der Hand. Sie schaut den Weihnachtsmann mit großen Augen an. Wie in jedem Jahr gibt es auch diesmal jemanden, der ihn entdeckt. „Danke, Mr. Disinfection Man“, sagt der Junge. Er zeigt auf den Tisch. „Möchtest du keine Plätzchen?“ Verwirrt schüttelt der Weihnachtsmann den Kopf. Mr. Disinfection Man? Er sieht auf den Sprühkopf in seiner Hand. Wahrscheinlich sieht es gerade so aus „Nein, danke“, sagt der Weihnachtsmann. „Dieses Jahr leider nicht.“ Und geht.

 

 

 

Schüchterne Strahlen der Morgensonne zeigen sich am Horizont, als er nach getaner Arbeit nach Hause kommt. Er schält sich – endlich!  - aus dem ganzen Zeug heraus. Er atmet tief, ganz tief, durch, dann setzt er sich erschöpft auf den Sessel neben seine Frau. Mit einem Stöhnen legt er seine Beine auf den Hocker vor sich. „Also“, meint er. „Wenn das so weiter geht, werde ich noch rank und schlank.“

 

Ende

 

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